Aktivistischer Theatercore meets Freejazz: Amirtha Kidambi´s Elder Ones #1 im NSL
Es gibt unterschiedliche Arten von Bands. Oft vorzufinden sind diejenigen, die auf Platte besser als auf der Bühne klingen. Im Gegensatz dazu stehen reine Konzertbands, sogenannte Killerbands, die einem mit ihrer Präsenz und Improvisationsfähigkeit regelrecht den Kopf freiblasen.
Dass Amirtha Kidambi´s Elder Ones, ein Avant-Jazz Quintett aus New York, zu letzteren Sorte gehört, liegt nicht nur daran, dass die fünf Musiker*innen auf der Bühne verdammt gut sind. Das erwartet man sowieso von Auftritten auf Jazzfestivals. Es liegt auch nicht nur daran, dass karnatischer bzw. klassischer Gesang, begleitet von Blasinstrumenten, Kontrabass, Schlagzeug und modularen Synthesizern, hypermodern und sexy klingt. Es ist vor allem der Tatsache geschuldet, dass die verschiedenen Kompositionen, die die Band am Sonntagabend im Neuen Schauspiel vorführte, jeweils in sich geschlossene Atmosphären kreierten. So bot die Livedarbietung des Ensembles eine ganz andere Erfahrung als der Sound ihres aktuellen Albums »New Monuments«, das dieses Jahr veröffentlicht wurde. Unter der Regie von Amirtha Kidambi erklangen die Stücke mal emotional-erhaben, mal experimentell-psychedelisch, mal intensiv-theatralisch oder punkig und klassisch, sodass man sich mitunter fragte, wie das überhaupt geht.
Es ist Geschmacksache, ein Konzert zu einem Politikum zu machen, wie Kidambi es am Sonntag tat und sicherlich auch weiterhin tun wird. Für manche mag es plakativ, überflüssig oder sogar grenzüberschreitend sein. Für andere erweitern ihre souveränen und präzisen aktivistischen Monologe den Sinn ihrer musikalischen Darbietung. So prangerte sie als US-amerikanische Bürgerin mit indischen Vorfahren unter anderem die Folgen des Kolonialismus und den Tod von George Floyd als Folge von Racial-Profiling an und sprach sich zugleich für einen Waffenstillstand in Palästina aus. Es wurde deutlich, warum dieses Konzert Teil ihrer »Right to resist tour« ist. Man kann ihre Ausführungen auch als strukturelles Mittel sehen: Denn da fast alle gespielten Stücke die 10-Minuten-Grenze überschritten, dienten sie als willkommene Pausen zwischen den Songs. Dadurch gelang es der Band, verschiedene Klangeinheiten zu ermöglichen, ohne das Publikum zu überfordern.
Während des Konzerts kreierte Kidambi mit ihrer Stimme komplexe Melodienlinien im Stil der klassischen indischen Musik. Sie sang mit gewaltiger Dramaturgie, begleitet von den teils hyperemotionalen, teils sogar aggressiven Bläsern von Alfredo Colón (Tenorsaxophon) und Matt Nelson (Sopransaxofon und Pedaleffekte), der experimentellen Spielart von Lester St. Louis am Kontrabass und den hypnotisierenden Drums des Schlagzeugers Jason Nazary, dessen Spiel fast schon maschinelle Züge trug. Dazu spielte Kidambi Harmonium und Synthesizer. Ein Höhepunkt des Abends war der Gastauftritt von Ryan Easter aus dem Noise-HipHop und Free Jazz-Quartett WRENS, zu dem auch Nazary und Louis gehören. Durch sein Trompetenspiel und seine Rap-Kunst wurde das Konzert noch genrefluider als zuvor. Gibt es einen Namen für sowas? Vielleicht: Theatercore meets Freejazz. Aber wer weiß schon, was das genau ist…
TEXT: LIBIA CABALLERO